Mein erster Eindruck beim Betreten des Ausstellungsraums:
Ich bin im Zauberwald gelandet!
Vor mir ragen Skulpturen aus Papier auf, Bäumen gleich, die ihre Stämme wie
Fingerzeige nach oben richten oder ihre Krone entfalten. Märchenhafte Bilder treten mir
vor die Augen:
Ein Papierfeuerwerk in einer überdimensionalen Vase?
Ein Funkenregen, fest „gefroren” und verwandelt in einen Schirm aus
hunderten von Röhrchen aus Papier?
Kinder können sich darunterstellen und den schützenden Schatten genießen,
können um den Stamm herumtanzen ...
Ein Souvenir aus einem Märchenwald, hingestellt, um uns daran zu erinnern,
was an Märchen so zauberhaft ist?
Dieser Wald zieht Leben an.
Jedenfalls: eine bewundernswerte Geduldsarbeit! Papier zurechtreißen, aufrollen, verknüpfen, in Form bringen und dadurch wiederum das zu einer beachtlichen Größe zu entfalten, was doch zunächst kleingemacht, zerknittert war.
Eine Form, die aus zerschnittenem Papier herauswächst, sich wie von Zauberhand zu einem neuen Ganzen fügt, das vor uns aufragt und ein Blätterdach bietet. Arrangiert - aber sich darstellend, als wäre diese Riesenvase ein Spielzeug der Natur - einer uns freundlich gesonnenen Natur, die den Künstler einmal angelächelt hat - und ihm bleibt nichts anderes übrig, als zurückzulächeln.
Kein Wunder: Wilhelm Morat kommt aus dem Schwarzwald und muss, um nach Gleisweiler zu kommen,
das Höllental durchfahren.
Seine Kunst ist in der urwüchsigen Natur verwurzelt, ohne Zweifel, und er hat Wurzeln da,
wo die Bäume ihre Wurzeln haben. Er hat für eine Weile
seine Bäume, seine Blätter, in diesen Raum
gebracht - und so stehen sie vor uns, nicht als platte Abbilder irgendwelcher romantisch-heroisch
verklärter Waldimpressionen, sondern als Erinnerungsstücke, als Verwandlungen, als Visionen.
Sie stehen da und ziehen uns in ihren Bann, stille Impulse, ganz unspektakulär, legen ihr Material
offen, verzichten mit einer Ausnahme fast ganz auf jegliche Farbigkeit. Sie täuschen uns nicht.
Sie machen uns nichts vor.
Sie sind von einem heiteren Ernst.
Und haben dennoch, wie alles wirklich Heitere, eine abgründige Tiefe. Das Material ist ja Zeitungspapier, Teil jenes Blätterwaldes, der uns Tag für Tag mit Täuschungen und halben Informationen umrauscht und es liebt, uns in Angst und Schrecken zu versetzen - ein sorgfältig inszenierter Urwald mit tückischen Fallen und einer Unzahl von Irrwegen. In solchen Blätterwäldern sind wir schon froh, wenn wenigstens aus einem Hexenhäuschen ein bisschen Licht in die dumpfe Horrorwelt fällt
Zum Glück ist dieser Urwald kurzlebig und wir können ihn uns leicht vom Hals schaffen:
Wir zerknüllen die Blätter und fügen sie zu unserem eigenen Wald. Aber den Schrecken werden wir
nicht so leicht los.
Das ist die eine, die negative Seite.
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